Vampir & Werwolf: Mythos, Glaube, Geschichte

Heute ist Halloween und auch in diesem Jahr werden wieder viele Kinder verkleidet als Hexen, Zombies, Geister, Vampire, Skelette und Werwölfe um die Häuser ziehen. Doch was hat es mit diesen übernatürlichen Wesen eigentlich auf sich? Woher stammen sie? Wie sind sie entstanden? Ich habe mir zwei davon näher angeschaut: den Vampir und den Werwolf.

Der Vampir

Sein Gesicht war ziemlich – eigentlich sogar sehr – raubvogelartig; ein schmaler, scharf gebogener Nasenrücken und auffallend geformte Nüstern. […] Sein Mund, so weit ich ihn unter dem starken Schnurrbart sehen konnte, sah hart und ziemlich grausam aus; die Zähne waren scharf und weiß und ragten über die Lippen vor, deren auffallende Röte eine erstaunliche Lebenskraft für einen Mann in seinen Jahren bekundeten. Die Ohren waren farblos und oben ungewöhnlich spitz, das Kinn breit und fest, die Wangen schmal, aber noch straff. Der allgemeine Eindruck war der einer außergewöhnlichen Blässe.

Bram Stoker, Dracula

1897 erschien Bram Stokers Roman Dracula und mit ihm der wohl bekannteste Vampir aller Zeiten. Doch bereits davor wurde der Vampir im 18. und 19. Jahrhundert literarisch verarbeitet. Es gab sogar eine romantische Oper mit dem Titel Der Vampyr. Bram Stoker ließ sich für seinen Roman von verschiedenen literarischen Quellen und Vampirsagen inspirieren. Außerdem erzählte ihm der ungarische Orientalist Hermann Vámbéry von Vlad III. Drӑculea (um 1431-1476/1477), der den Roman höchstwahrscheinlich ebenfalls beeinflusst hat.

Vlad III. war Woiwode der Walachei und trug aufgrund seiner Grausamkeit – er soll die Vorliebe gehabt haben seine Feinde zu pfählen – auch den Beinamen Țepeș, der Pfähler. Der Beiname Drӑculea (kleiner Drachen = Sohn des Drachens) geht sehr wahrscheinlich auf seinen Vater Vlad II. Dracul zurück, der Mitglied im Drachenorden war. Dieser christliche Ritterorden war 1408 vom späteren Kaiser Sigismund und seiner Frau Barbara von Cilli gegründet worden. Fun Fact am Rande: Barbara von Cilli, römisch-deutsche, ungarische und böhmische Königin, war eine sehr intelligente, gebildete und eigenständige Frau, mit einem – vermutlich aufgrund dieser Eigenschaften – sehr schlechten Ruf. Nach ihrem Tod soll sie sich regelmäßig als Vampir wieder aus dem Grab erhoben haben, um die Lebenden zu quälen.

Blutsauger, überall Blutsauger!

Auch wenn Bram Stokers Roman den Vampir nachhaltig berühmt gemacht hat, ist er doch keine Erfindung der fiktiven Literatur. Bereits die Assyrer und Chaldäer ängstigten sich vor blutsaugenden Monstern. Die alten Griechen kannten die Lamien, dämonische Bestien, die menschliches Blut tranken. In der römischen Mythologie sind es die Strigae, blutsaugende vogelartige Dämonen, die besonders gerne das Blut von Kindern tranken. Sagen über untote Wesen oder Dämonen, die Blut trinken und die Menschen peinigen gibt es in Amerika, Asien und Australien.

Mittelalterliche Chroniken weisen bisweilen auf blutsaugende Tote hin, die, wollte man sie loswerden, gepfählt, verbrannt oder geköpft werden mussten. Im späten 16. und im 17. Jahrhundert sind Fälle von Vampirismus in Schlesien, Mähren und Polen bekannt. Und auch aus dem 18. Jahrhundert existieren Aufzeichnungen über Vampire z. B. in Ungarn, Russland, Litauen, Polen und Griechenland.

Wo die wilden Vampire wohnen

Seit spätestens 1732 hat sich in der internationalen Literatur, das ungarische aus dem polnischen stammende Wort Vampir durchgesetzt und sich vom slavischen Raum ausgehend mit kleinen Abweichungen (vampiro, vampyr) in Westeuropa verbreitet. Die etymologische Herkunft des Wortes Vampir ist allerdings bis heute nicht vollständig geklärt und die Forschung hat hierfür verschiedene Erklärungen. Auch die, dass es keine eindeutige etymologische Herkunft gibt. Woher der Vampirglaube stammt ist ebenfalls nicht ganz klar. Der Glaube hat slawische und griechische Ursprünge und ist im südosteuropäischen Raum entstanden. Da ist sich die Forschung sicher. Aber ob er nun von Bulgarien und Serbien ausgegangen ist oder aus der Türkei stammt, da ist man sich nicht einig.

Der erste Schritt ins Rampenlicht

Größere Bekanntheit erlangte der Vampir durch Vorfälle, die sich im Winter 1731/1732 im serbischen Dorf Medvegia abspielten. Hier war eine größere Anzahl von Personen innerhalb kurzer Zeit gestorben. Die Bewohner des Ortes waren überzeugt, dass es sich bei den Toten um Opfer von Vampiren handelt. Daraufhin ordnete die militärische Verwaltung von Österreich-Ungarn (zu dem der größte Teil Serbiens damals gehörte) eine Untersuchung der Vorfälle an. Der nach Medvegia geschickte Arzt ließ einige der Toten exhumieren und fand diese unversehrt, mit frischem Blut im Gesicht und der Brust; manche sogar mit nachgewachsenen Fingernägeln. Seinem Bericht ist zu entnehmen, dass er deshalb nach seiner Untersuchung nicht abgeneigt war, den Dorfbewohnern zuzustimmen: Hier sind Vampire am Werk. Er empfahl eine Exekution der Leichen (vermutlich durch pfählen, verbrennen oder köpfen) vorzunehmen.

Eine weitere Untersuchung vor Ort kam zu dem gleichen Ergebnis: Es handelt sich um Vampire! Der Untersuchungsbericht wurde nach Wien geschickt und Abschriften davon fanden ihren Weg an die Höfe weiterer europäischer Königshäuser. Der Vampir wurde so nicht nur einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, sondern direkt auch Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen.

Die Berühmtheit währt (zunächst) nur kurz

Einige Jahre wurde heiß über Vampire diskutiert. Zeitungsartikel erschienen, Flugschriften wurden gedruckt und wissenschaftliche Abhandlungen verfasst. Medizin und Philosophie beschäftigten sich mit dem Vampirismus. Auch die Kirche mischte sich in die Diskussion ein. Der wissenschaftliche Diskurs verlor aber bald wieder sein Interesse am Thema Vampire. In der Bevölkerung aber blieb der Vampirglaube bestehen. Es kam immer wieder zu Vampirexekutionen. Kaiserin Maria-Theresia hatte davon 1755 die Nase voll und mit der Constitutio Criminalis Theresiana verbot sie den Vampirismus und alle Handlungen an Leichen. Auch Papst Benedikt XIV. verurteilte den Vampirismus als Aberglauben. Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts schien das Vampirproblem dann endlich gelöst zu sein. Zumindest von offizieller Seite. In ländlichen Gebieten Osteuropas hielt sich der Glaube an Vampire aber teilweise bis ins 20. Jahrhundert.

Der Werwolf

Der Wolf kannte den Geruch des Jägers. Er hatte ihn schon oft gerochen. An Fallen im Wald. Dort, wo Blut auf den Boden getropft war. Es war der Geruch des Todes. […] Der Jäger legte an. Er hatte viele Wölfe getötet, sie erschossen, vergiftet, in Fallen mit eisernen Zähnen gefangen, in denen sie jämmerlich verendet waren. Der Wolf bleckte die Fänge. Der Schuss traf ihn mitten in die Brust, wirbelte ihn herum. Schmerz durchzuckte ihn. Aber er strauchelte nur kurz, fand seinen Tritt wieder. Die Wunde schloss sich bereits. […] Der Wolf sprang, warf den Jäger um. Seine Schnauze suchte die Kehle.

Christoph Hardebusch, Die Werwölfe

Krankheit, Fluch oder Trugbild?

Der Glaube, dass Menschen sich in Tiere verwandeln können findet sich in vielen Kulturen zu verschiedenen Zeiten. In der griechischen, römischen und nordischen Mythologie gibt es viele Geschichten über Tierverwandlungen. Zum Beispiel die von Lykaon, dem König der Arkadier, der Zeus erzürnt hatte und dafür in einen Wolf verwandelt wurde. Aber auch in der nichtfiktionalen Literatur tauchen Tierverwandlungen bereits in der Antike auf. So berichtet der griechische Geschichtsschreiber Herodot (um 490/480 v. Chr. bis 430/420 v. Chr.) in seinem opulenten Werk Historien von einer osteuropäischen Volksgruppe, deren Angehörige sich jedes Jahr für wenige Tage in Wölfe verwandeln würden. Auch der römische Gelehrte Plinius der Ältere (ca. 24-79) erzählt in seiner Naturalis Historia von einem Mann, der sich in einen Wolf verwandelt haben soll. Sowohl Herodot als auch Plinius beteuern allerdings, dass sie daran nicht glauben würden.

Naturphilosophen und Ärzte beschreiben das Werwolftum hingegen als Krankheit: die Lycanthropie. Es findet dabei keine tatsächliche Verwandlung in einen Wolf statt, sondern die Betroffenen verhalten sich nur so.

Einige Jahrhunderte später greift Augustinus (354-430), Kirchenlehrer der Spätantike, das Thema Tierverwandlungen in seinem Werk De civitate Dei wieder auf. Eine tatsächliche Verwandlung von Menschen in Tiere schließt er aus. Er hält es aber für möglich, dass es sich um von Dämonen geschickte Trugbilder handelt. An der Trugbildtheorie hält die Kirche lange fest: Der Canon Episcopi, eine erstmals 906 erschienene kirchenrechtliche Vorschrift zum Umgang mit abergläubischen Vorstellungen, deutet sowohl Tierverwandlungen als auch Flugreisen von Hexen als Träume und Trugbilder des Teufels.

Ab dem 12. Jahrhundert taucht der Werwolf wieder vermehrt in der fiktionalen Literatur auf. Im Gegensatz zu den Erzählungen der Antike, wird der Werwolf hier häufig als sympathisch beschrieben und ist bisweilen schuldloses Opfer eines Fluchs.

Der Werwolf mischt sich unter die Hexen

In der Zeit der Hexenverfolgungen, die ihre Hochphase in Europa zwischen 1450 und 1750 hatte, verschwand der Werwolf nahezu vollständig aus der fiktionalen Literatur. Dafür wurde ihm nun aber die zweifelhafte Ehre zuteil, dass die Hexenlehre sich mit ihm beschäftigte. Die gelehrte Hexenlehre wurde zunächst von Theologen, später dann auch von Juristen und anderen Personen ent- und weiterentwickelt. Sie beschrieb die angebliche reale Existenz von Hexen, ihr schädliches Wesen und wie sie zu bekämpfen seien (berühmt-berüchtigtes Beispiel: Der Hexenhammer). Der Werwolf wird durch die Hexenlehre Teil des frühneuzeitlichen Hexenglaubens.

Während der Hexenverfolgungen starben ca. 40.000 bis 60.000 Menschen. Davon waren 75 % bis 80 % Frauen. Männer wurden jedoch deutlich häufiger beschuldigt Werwölfe zu sein als Frauen: Etwa zwei Drittel, der als Werwolf angeklagten Personen waren Männer. Oftmals waren es Hirten oder Segner – diese segneten das Vieh um den Wolf von den Herden fernzuhalten -, die als Werwölfe vor Gericht gestellt wurden.

Hier einige Beispiele: 1589 wurde in Bedburg in Nordrhein-Westfalen Peter Stump hingerichtet, dessen Fall durch Flugschriften über die Landesgrenzen hinaus Beachtung fand. Stump soll in Gestalt eines Werwolfs mindestens 16 Morde, Vergewaltigungen und Inzest begangen haben. Außerdem soll er Zauberei betrieben haben. In Jülich sollen 1591 gar 300 Hexen als Werwölfe hingerichtet worden sein. Auch in Frankreich wurden vor allem im 16. Jahrhundert im Jura und der Franche-Comté etliche Personen als Werwölfe vor Gericht gestellt. So standen 1521 in Besançon Pierre Burgot und Michel Verdun vor Gericht. Die beiden sollen in Wolfsgestalt mehrere Menschen angefallen, getötet und aufgefressen haben. Sie sollen außerdem Geschlechtsverkehr mit Wölfinnen gehabt und vom Teufel ein Pulver erhalten haben, mit dem sie Menschen töten konnten.

    

Realität trifft Fiktion

Die Hochphase der Werwolfprozesse endete im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts. Was aber nicht heißt, dass der Werwolf danach verschwand. Nun musste er als Erklärung für bösartige Tiere herhalten. Fakten und Fiktion vermischten sich zu neuen Geschichten, zu Schauergeschichten, die noch Jahrhunderte später erzählt werden.

Der Werwolf von Ansbach 

In der Nähe von Ansbach in Bayern wurde im Jahre 1685 ein Wolf erschlagen, der schon seit einigen Monaten die Region in Angst und Schrecken versetzt hatte. Dieser Wolf soll nie Tiere, sondern immer nur Menschen angefallen und getötet haben. Wochenlang versuchte man erfolglos das Tier zur Strecke zu bringen. Letztendlich gelang es dann doch den Wolf zu fangen, als er in einen mit Reisig bedeckten Brunnen fiel. Er wurde getötet und am nächsten Tag zog man ihm das Fell ab und hängte ihn mit Kleidern, einer Perücke und einem Bart versehen auf.

Warum das? Weil die Menschen eine Erklärung für das auffällige Verhalten des Tieres suchten und sie auch fanden. So soll der im Jahr zuvor verstorbene städtische Verwalter Michael Leicht in dem Wolf gesteckt haben. Leicht, dem man Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit der städtischen Armenkasse vorgeworfen hatte, soll nach seinem Tod als Gespenst in seinem Haus umgegangen sein. Als man den Geist aus dem Haus vertrieb, fuhr er in den Wolf, der fortan nur noch Menschen als Opfer suchte.

Die Bestie vom Gévaudan

Im Süden Frankreichs, im heutigen Département Lozère liegt das Gévaudan. Hier soll zwischen 1764 und 1767 eine Bestie ihr Unwesen getrieben haben, der fast 100 Menschen zum Opfer fielen und die ganz Frankreich in helle Aufregung versetzte. Das Gévaudan ist eine dünnbesiedelte und waldreiche Gegend, in der es damals viele Wölfe gab. Vielleicht waren es mehrere Wölfe, denen so viele Menschen zum Opfer fielen. Vielleicht ein Killerwolf? Möglicherweise war es aber auch etwas ganz anderes. Denn bis heute ist nicht wirklich geklärt, was die Bestie vom Gévaudan war. Zahlreiche Geschichten und Spekulationen ranken sich bis heute um die Natur der Bestie. Hier eine kleine Auswahl: Die Bestie war nicht ein Tier, sondern es waren mehrere normale Wölfe. Sie war eine besonders aggressive Kreuzung aus Wolf und Dogge. Sie war eine Hyäne oder ein afrikanischer Wildhund. Die Bestie war ein von Menschen abgerichtetes Tier.

Vampir & Werwolf: Helden der Leinwand

Unser heutiges Bild hat nur noch sehr wenig mit dem zu tun, was die Menschen in früheren Zeiten beim Gedanken an Vampire und Werwölfe empfunden haben. Denn unser heutiges Bild ist größtenteils ein Werk von Literatur und Film. Der Vampir wurde im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert durch literarische Werke wie Dracula zu der dunklen aber irgendwie meist doch romantisch-erotischen Erscheinung, die wir heute noch in vielen Büchern, Serien und Filmen finden. Und auch der Werwolf wird im 19. Jahrhundert Protagonist und Antagonist zahlreicher Romane und Erzählungen. Eigenschaften, die wir heute mit Werwölfen verbinden, wie zum Beispiel die Anfälligkeit für Silber oder die ausgeprägten Selbstheilkräfte, stammen ebenso aus Romanen und Filmen wie die Vorstellung, dass der Biss eines Werwolfs ansteckend ist.

Mögt ihr Bücher und Filme über Vampire und Werwölfe? Welche gefallen euch am besten?

Zum Weiterlesen

Wolfgang Behringer: Hexen. Glaube, Verfolgung, Vermarktung, München 2016.
Matthew Bunson: Das Buch der Vampire. Von Dracula, Untoten und anderen Fürsten der Finsternis. Ein Lexikon, Berlin, München, Wien 1997.
Markus Heitz: Vampire! Vampire! Alles über Blutsauger, München 2008.
Elmar M. Lorey: Henrich der Werwolf. Eine Geschichte aus der Zeit der Hexenprozesse mit Dokumenten und Analysen, Frankfurt a. M. 1998.

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Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Amanda

    Vielen lieben Dank für den tollen Artikel!
    Mir gefällt besonders, dass so viele Beispiele gelistet sind über Szenarios, durch welche diese Legenden entstanden sein könnten.
    Eine große Hilfe sind auch die Referenzen über weitere literarische Werke.

    Vielen Dank!

    1. Daniela Frey

      Liebe Amanda,
      vielen Dank. Das freut mich sehr, dass Dir der Artikel gefällt.
      LG Daniela

  2. Thomas

    Toller Artikel, sehr interessant und vieles davon war mit ganz neu. Danke!

    1. Daniela Frey

      Vielen Dank, lieber Thomas.

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