In meinem Bücherregal stehen einige Bücher der französischen Schriftstellerin und Philosophin Simone de Beauvoir (1908-1986). Die meisten davon habe ich während des Studiums erworben. Eines habe ich gelesen, zwei angelesen und den Rest dazugestellt, mit dem Vorsatz sie später zu lesen. Allerdings habe ich das bis heute nicht gemacht. Anfang des Jahres habe ich aber zufällig Julia Korbiks Buch Oh, Simone! Warum wir Beauvoir wiederentdecken sollten in einer Buchhandlung gesehen, direkt gekauft und gelesen.
Inhalt
Um was geht es?
Oh, Simone! Warum wir Beauvoir wiederentdecken sollten ist sowohl Biographie, als auch Einführung in das Werk von Simone de Beauvoir. Julia Korbik hat den Hauptteil ihres Buchs in die sechs Kapitel Werden – Lieben – Denken – Schreiben – Handeln – Kämpfen unterteilt, die den Leser durch de Beauvoirs Leben führen.
Werden erzählt von de Beauvoirs Kindheit und Jugend Anfang des 20. Jahrhunderts in Paris. Korbik berichtet von der gutbürgerlichen – später verarmten – Familie, der Ausbildung an einer katholischen Mädchenschule und de Beauvoirs Studium, das sie 1929 mit einem Abschluss in Philosophie beendete. Eingang in dieses Kapitel finden auch die Beziehungen zu ihrer Schwester Hélène, zu Freunden und ihrer Jugendliebe Jacques.
Lieben beschäftigt sich mit de Beauvoirs Liebesbeziehungen, deren wichtigste die zu Jean-Paul Sartre (1905-1980) war, den Simone de Beauvoir am Ende ihres Studiums kennenlernte. Aber auch ihre anderen Liebschaften – mit Männern und Frauen- werden thematisiert. Die Liebe zwischen de Beauvoir und Sartre war ungewöhnlich. Bereits zu Beginn ihrer Beziehung hatten die beiden einen Pakt geschlossen und für sich eine offene Beziehung definiert, die auch amours contingents (Zufallslieben) einschloss. 51 Jahre – bis zu Sartres Tod – hatte der Pakt Bestand. Die beide haben nie geheiratet, nie zusammengelebt und sich bis zum Schluss gesiezt.
“Fest steht aber: Simone hatte philosophisch ihren eigenen Kopf. Dass sie trotzdem als eine Art Anhängsel Sartres gilt, ist kaum verwunderlich: Damals wie heute herrscht die Überzeugung, dass große Ideen natürlich von großen Männern produziert werden.” (S. 146/147)
Denken beschäftigt sich mit de Beauvoirs Philosophie. Mit Personen, die sie inspiriert und ihr Denken beeinflusst haben. Korbik beleuchtet den französische Existentialismus der 1930er und 1940er Jahre und seinen Einfluss auf das Werk von Simone de Beauvoir.
Schreiben schildert den Weg de Beauvoirs von der Philosophielehrerin zur Schriftstellerin. Von ihren literarischen Vorbildern, ihrer Frustration, wenn die Inspiration fehlte und ihrer Schreibroutine. Von anfänglichen Misserfolgen – ihr Erstlingswerk wurde abgelehnt – und späteren Erfolgen. Dabei geht Korbik auch auf die Entstehungsgeschichten von de Beauvoirs Arbeiten ein (z. B. bei Sie kam und blieb oder Die Mandarins von Paris).
“Für Simone geht es nicht nur um sie – sie macht sich Sorgen darum, was ihr Nichhandeln für andere bedeutet, und lässt endlich ihren Individualismus hinter sich.” (S. 201)
Handeln und Kämpfen schildern das Entstehen und Wirken der politischen und feministischen Simone de Beauvoir. Politik war lange Zeit nichts, was de Beauvoir interessiert hat. Letztendlich zwang der 2. Weltkrieg sie jedoch dazu ihren Individualismus zu überdenken. Nach dem Krieg gründete sie zusammen mit Sartre die literarisch-politische Zeitschrift Les Temps Modernes. Politisch standen beide lange Zeit dem Kommunismus nahe und unternahmen auch politische Reisen z. B. nach Kuba und in die Sowjetunion.
1949 erschien de Beauvoirs Buch Das andere Geschlecht und machte sie endgültig berühmt. Allerdings anfänglich nicht unbedingt im positiven Sinne. Denn in Frankreich und anderenorts war man(n) empört über diese “schamlose” Schrift. In einigen Buchhandlungen wurde das Buch beschlagnahmt und im Vatikan landete es auf dem Index. Als Feministin sah sich Simone de Beauvoir allerdings zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Erst später engagierte sie sich in der französischen Frauenbewegung und kämpfte für das Recht auf Abtreibung.
Zu Beginn von Korbiks Buch findet sich eine Karte von Paris, die aufzeigt wo Simone de Beauvoir gelebt, gelernt, geliebt und gearbeitet hat. Am Ende gibt es außerdem eine ausführliche Literaturliste mit de Beauvoirs Arbeiten sowie Biographien, Analysen und Büchern aus ihrem Umfeld.
Wie ich es fand
Dem Buch ist auf jeder Seite die Zuneigung anzumerken, die die Autorin für die französische Schriftstellerin und Philosophin empfindet. Sie macht hieraus jedoch keine Heldinnenverehrung, sondern äußert sich durchaus auch kritisch über Simone de Beauvoirs Charakter, ihr Handeln und ihr Werk. Gut gefallen haben mir auch die im Text verstreuten Kurzbiographien von Freunden und Weggefährten (u. a. Claude Lanzmann, Claude Lévi-Strauss, Albert Camus, Colette Audry und Giséle Halimi). Sehr verständlich geschrieben – ohne oberflächlich zu sein – macht das Buch tatsächlich Lust darauf Simone de Beauvoir (wieder)zuentdecken.
Auch weil Julia Korbik deutlich macht: “Simone hat philosophisch ihren eigenen Kopf.” (S. 146) obwohl “viele sie nur in Zusammenhang mit Sartre denken, ihre philosophischen Ideen mit seinen gleichsetzen.” (S. 146). So stellt sie am Ende des Buchs fest:
“… das ist der Unterschied zu vielen anderen großen Denkern, darunter Jean-Paul Sartre: Simone ist mit offenen Augen durch die Welt gegangen, sie hat sich selbst genauso schonungslos hinterfragt wie ihre Umgebung. (…) Ihr Leben lang blieb sie neugierig, wollte dazulernen und Neues erfahren” (S. 272)
Über die Autorin
Julia Korbik lebt und arbeitet als freie Journalistin und Autorin in Berlin. Seit 2016 schreibt sie den Blog Oh, Simone, der einzig und alleine Simone de Beauvoir gewidmet ist.
Info: Korbik, Julia, Oh, Simone! Warum wir Beauvoir wiederentdecken sollten, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2018. € 12.99